Ein Erfahrungsbericht

Einführung der Funk-Rundsteuerung bei den Stadtwerken Sindelfingen
in: EVU Betriebspraxis 1-2/2002, S. 10 ff.

Von Markus Königshofen, Sindelfingen und Roland Bicker, München

Eine Alternative zur altbewährten Tonfrequenz Rundsteuerung bietet die EFR Europäische Funk Rundsteuerung GmbH, München, mit der Funk Rundsteuerung. Welche Argumente für diese Technik sprechen, wird am Beispiel des ReferenzkundenNeckarwerke Stuttgart AG (NWS) deutlich.

Die Stadtwerke Sindelfingen, früher ein Eigenbetrieb der Stadt Sindelfingen wurden am 14. Dezember 1998 rückwirkend zum 1. Juli 1998 in Form einer GmbH gegründet. Gesellschafter des Unternehmens sind die Stadtwerke Schwäbisch Hall GmbH (37,5 %), die Stadt Sindelfingen (37,4 %), die EnBW Regional AG (16,6 %) und die Neckarwerke Stuttgart AG mit einem Geschäftsanteil von 8,5 %. Mit den Sparten Strom (rd. 330 GWh), Gas (rd. 430 GWh), Wasser (rd. 4000 Tm³) und Fernwärme (rd. 120 GWh) erwirtschaftet das Unternehmen mit rd. 70 Mitarbeitern einen Umsatz von etwa 50 Mio €.


(Bild 1) - Beschaulich - die Sindelfinger Altstadt

Zum 1. Juli 1999 wurde das Sindelfinger Stromnetz durch die Stadtwerke Sindelfingen GmbH von dem bisherigen Vorversorger übernommen und ab diesem Zeitpunkt auch betrieben. Dieses Versorgungsnetz besteht aus drei Netzgruppen mit rd. 32.500 installierten Zählern. Für jede der drei Netzgruppen bestand eine redundant ausgeführte Tonfrequenz-Rundsteueranlage, die für Tarifumschaltungen, zur Steuerung von Elektroheizungs- und Straßenbeleuchtungsanlagen sowie für die Monatsrückstellung von Sondermesseinrichtungen eingesetzt wurde. Zur Realisierung dieser Aufgaben waren knapp 3.000 Rundsteuerempfänger im Stromnetz der Stadtwerke Sindelfingen eingebaut.

Systemanforderungen

Das Rundsteuersystem wird täglich benötigt und übernimmt im Winter auch die Steuerung der Heizungen in vielen Sindelfinger Wohnungen. Es ist darum erforderlich, ein absolut zuverlässiges und jederzeit verfügbares Steuerungssystem zu betreiben.
Dies war bei der veralteten, von dem bisherigen Versorger übernommenen Tonfrequenz-Rundsteuerung nicht mehr gewährleistet. Die drei Sendeanlagen mussten ihrem Alter entsprechend (Baujahre 1966, 1967 und 1984) regelmäßig gewartet und wegen häufiger werdender Senderanlagenstörungen instandgesetzt werden. Darüber hinaus führte ein Ausfall der Rundsteuerzentrale im Winter 2000 zu einem eintägigen Totalausfall des Rundsteuersystems. Das Alter der Anlagen und die zunehmenden Störungen führten bei den Stadtwerken Sindelfingen zur Entscheidung, die Rundsteueranlagen zu erneuern.
Im Zeichen der Strommarktliberalisierung wurde zusätzlich eine Zeitsynchronisierung von Lastprofilzählern notwendig, welche mit der alten Tonfrequenz-Rundsteueranlage bisher nicht möglich war. Ebenfalls sollte ein neues Rundsteuersystem aufgrund der genannten Störungen eine Zeitschaltuhrfunktion beinhalten um großflächige Ausfälle zu vermeiden.
Das Investitionsvorhaben wurde öffentlich ausgeschrieben. Dabei war offen, ob die Funktionen über eine Tonfrequenz-Rundsteuerung oder über die Funk-Rundsteuerung realisiert werden sollen.

Systementscheidung

Bei der Entscheidung für einen Anbieter wurden die technischen und wirtschaftlichen Unterschiede verglichen. Beim Vergleich der Tonfrequenz-Rundsteuerung mit der Funk-Rundsteuerung kamen die Stadtwerke Sindelfingen zu nachfolgendem Ergebnis:

Gleichwertigkeit von Tonfrequenz- und Funk-Rundsteuerung

  • Verfügbarkeit des Rundsteuersystems
  • Lebensdauer der Rundsteuerempfänger
  • Empfänger mit Zeitschaltuhr- und Speicherfunktionen
  • schneller und unmittelbarer Zugriff auf die Rundsteuerempfänger

Vorteile der Funk- gegenüber der Tonfrequenz- Rundsteuerung

  • Möglichkeit der Zeitsynchronisation ohne aufwendige Sonderschaltungen
  • durch die netzunabhängige Datenübertragung keine Netzrückwirkungen und Abhängigkeiten von Netzschaltzuständen
  • höhere Flexibilität bei der Erschließung neuer Kunden, da keine Identität von Steuer- und Versorgungsgebiet erforderlich ist
  • Zusammenlegung rundsteuertechnischer Betriebsführung von mehreren Versorgungsunternehmen über eine Rundsteuerzentrale - Server/Client-Prinzip
  • zur Einkopplung der Rundsteuersignale wird kein zusätzliches Leistungsschalterfeld und sonstige Primär- und Sekundärtechnik wie bei der Tonfrequenz-Rundsteuerung benötigt
  • die Installation der neuen Rundsteueranlage ist schneller möglich, da lediglich eine Zentralstation an das Netzleitsystem anzubinden ist und anschließend die Empfänger im gesamten Netzgebiet sukzessive eingebaut werden können
  • Wartungs- und Instandsetzungsarbeiten der Sendeanlagen fallen nicht an
  • Einzelansteuerungen aus der Netzleittechnik von Zählern, z. B. zum Sperren/Entsperren sind möglich

Nachteile der Funk-Rundsteuerung

Abhängigkeit vom Systembetreiber/Provider Europäische Funk-Rundsteuerung GmbH (EFR) und damit die Notwendigkeit einer langjährigen Bindung bzw. Vertragsgestaltung. Die Gerätezulieferer sind jedoch frei wählbar.

Kostenbetrachtung

Eine öffentliche Ausschreibung ergab, dass die Investitionskosten der Funk-Rundsteuerung um rd. 12 % unter den Kosten für eine herkömmliche Rundsteueranlage mit den oben genannten Möglichkeiten liegen. Bei der Kostenbetrachtung wurden alle Kosten, wie z. B. die für Energie und zusätzliche Primärtechnik berücksichtigt.
Die laufenden Jahreskosten, bei denen sämtliche Betriebskosten beider Systeme und auch die Kapitalkosten beider Systeme verglichen wurden, waren in Sindelfingen für die Funk-Rundsteuerung um rd. 20 % günstiger.

Anhand der technischen Vorteile und der durch die Ausschreibung ermittelten oben aufgelisteten Kosten zeigte sich, dass die Funk-Rundsteuerung sowohl aus technischer als auch aus wirtschaftlicher Sicht für die Stadtwerke Sindelfingen vorteilhafter ist.


(Bild 2) Investitionskostenvergleich


(Bild 3) Betriebskostenvergleich


(Bild 4) Funktionsschema der Funk-Rundsteuerung

 

Funk-Rundsteuerung

Prinzipiell erfüllt die Funk-Rundsteuerung die gleichen Aufgaben wie die Tonfrequenz-Rundsteuertechnik. Wird bei der konventionellen Technik das Energieverteilungsnetz als Übertragungsmedium mitbenutzt, so dient der Funk-Rundsteuerung ein Langwellen-Radioweg als Übertragungsstrecke.
Die Hauptkomponenten des Systems sind Anwenderbedienstation, Zentralrechner, Langwellensender und Funkempfänger.
Die Anwenderbedienstation besteht aus einem handelsüblichen Personalcomputer (PC). Mit einer speziellen Software führt jeder Systemnutzer seine Rundsteueraufgaben durch. Über das Datex-P-Netz werden die Steueraufgaben als Telegramme an den Zentralrechner der EFR übertragen.
Dabei kann die Anwenderbedienstation als Web-Server in bestehende Netzwerke integriert werden. Als Betriebssystem für den Server kommt Windows NT oder Windows 2000 zum Einsatz. Die Clients - maximal 25 Clients - können ihre Aufträge an verteilten Arbeitsplätzen an den Zentralrechner senden und sind unabhängig vom Betriebssystem über einen Internetbrowser angebunden. Die Integration in vorhandene Leittechniksysteme ist dabei über Netzwerkprotokoll TCP/IP und HTML-Skript möglich. Die Ankopplung externer Hardware an die Bedienstation erfolgt über einen Mess-, Steuer- und Regelungs-Client (MSR-Client) mittels potentialfreier Kontakte (ereignisgesteuerte Telegramme, Statusrückmeldungen, etc.).
Im System ist die Einrichtung von Bearbeitern und die Vergabe von Zugriffsrechten und Berechtigungen vorgesehen. Eine Datenbank erleichtert die Erstellung und Wiederverwendung von Telegrammen. Über einen Editor werden die Rundsteuertelegramme angesehen, gelöscht und geändert.
Daten über die Bedienung sowie über die gesendeten Telegramme können protokolliert werden. Darüber hinaus sind die Systemzustände von Zentralrechner und Verbindungsaufbau zum Zentralrechner jederzeit abfragbar.
Für die Adressierung von Telegrammen und Empfängern werden von EFR Adressen zugewiesen, so dass jeder Teilnehmer nur seine Telegramme veranlassen kann. Auf Wunsch kann ein Referenz-Empfänger die über Funk gesendeten Telegramme zurückmelden, um den Überwachungskreislauf zu schließen.
Der Zentralrechner dient zur Priorisierung, Pufferung, Verwaltung und Weitergabe der Telegramme an den Sender. Er gewährleistet, dass jedem Teilnehmer seine Sendewünsche individuell erfüllt werden. Die Sendungen werden grundsätzlich automatisch einmal wiederholt. In den Pausen zwischen den Sendungen der Teilnehmer wird die Datum- und Uhrzeitsynchronisation durchgeführt (derzeit rd. alle 15 s).
Zwei von der Deutschen Telekom betriebene Langwellensender an den Standorten Mainflingen bei Frankfurt (Main) und Burg bei Magdeburg stellen die Übermittlung der Daten in ganz Deutschland und weiten Teilen der Nachbarländer sicher. Die Sender arbeiten mit einer Trägerfrequenz von 129,1 kHz in Mainflingen bzw. 139,0 kHz in Burg. Die Modulation findet nach dem sehr sicheren Frequency-Shift-Keying-Verfahren (FSK-Verfahren, digitale Frequenzmodulation) statt. Es wird dabei zwischen einer Frequenz oberhalb der Trägerfrequenz (fT-f1) und einer Frequenz unterhalb der Trägerfrequenz (fT-f1) getastet, womit die erforderliche Zweiwertigkeit des Signals gewährleistet ist. Die Übertragungsgeschwindigkeit beträgt 200 Bit pro Sekunde, die Sendeleistung 100 kW (Mainflingen) und 50 kW (Burg). Zentralrechner und Sendeanlagen als zentrale Elemente des Systems werden mit Redundanz betrieben, um höchste Verfügbarkeit zu gewährleisten. Die Frequenzen sind europaweit und exklusiv für die Funk-Rundsteuerung geschützt.


(Bild 5) Sender am Standort Mainflingen


(Bild 6) Alte TRA-Sendeanlage Bj. 1966

Die Funk-Rundsteuerempfänger bauen auf die im Einsatz befindliche Technologie des konventionellen Rundsteuerempfängers auf. Der Netzfilter wurde durch einen Hochfrequenz-Filter ersetzt. Die Antenne ist am Empfänger montiert und in schwierigen Einbauorten absetzbar. Der Empfänger besitzt einen nicht löschbaren Programmspeicher und verfügt über eine Selbstlauffunktion, dadurch ist nur die Übertragung von Programmänderungen notwendig. In diesem Fall greift der Empfänger auf das im Programmspeicher hinterlegte individuelle Grundprogramm (Schaltuhrfunktion) zurück. Standardschaltungen wie z. B. Tarifwechsel oder Heizungsfreigaben werden immer als konstante, eventuell wochentagsabhängige Schaltungen durchgeführt. Grundlage für die Kommunikationsschnittstelle Sender-Empfänger ist DIN 19244 mit dem Telegrammformat FT 1.2. Der Telegrammkopf wird durch die Anwenderadresse, Datensicherung und Angaben zur geforderten Sendepriorität bestimmt. Die Belegung des frei belegbaren Informationsteils findet durch den Anwender statt. Für die Einlagerung der Informationen steht die benötigte Anzahl Bits, aufgerundet auf das nächste Byte, zur Verfügung. Damit kann jedes in der konventionellen Rundsteuertechnik bekannte Telegrammformat, auch jede Neuentwicklung, Anwendung finden.
Die von den Sendeanlagen abgestrahlten Signale erreichen die Empfangsantennen auf zwei Wegen, als Bodenwelle entlang der Bodenoberfläche und als Raumwelle, die an der ionosphärischen D-Schicht reflektiert wird. Die Raumwelle ist für die Betrachtung im Entfernungsbereich kleiner 1.000 km vom Sender uninteressant. Auf Grund ihrer niedrigen Frequenz dringt das elektromagnetische Feld der Langwelle tief in das Erdreich ein und bietet daher selbst für in Kellerräumen installierte Empfänger gute Empfangsmöglichkeiten.
Die wirtschaftlichen Vorteile des Systems ergeben sich gegenüber der konventionellen Technik aus dem Wegfall der Anlageninvestitionen für die Sender- und Ankoppeltechnik. Das System kann bei geringem Montageaufwand der Funkempfänger sofort flächendeckend genutzt werden. Auch im Betrieb sind die Aufwendungen für Instandhaltung und Betrieb deutlich niedriger. Als technische Vorteile ergeben sich durch die netzunabhängige Datenübertragung keine leitungsbedingten Störungen. Der Empfang ist unabhängig vom aktuellen Netzzustand (z. B. zu niedriger Pegel der Tonfrequenz-Rundsteueranlage bei langen Leitungen), auch ist eine Verdrosselung von Kompensationsanlagen nicht mehr erforderlich. Darüber hinaus bietet die Funk-Rundsteuerung eine große Befehlskapazität und flexible Möglichkeiten der Fernpa-rametrierung. Einzel- und Gruppenschaltungen sind leicht zu realisieren.
Aktuell nutzen etwa 60 Unternehmen mit rund 230.000 eingebauten Funkempfängern das System.

Projektablauf

Nachdem sich die Stadtwerke Sindelfingen für die Funk-Rundsteuerung entschieden haben, wurde in einem gemeinsamen Projektgespräch mit der EFR festgelegt, welche Empfänger eingesetzt werden, welche neuen Schaltgruppen für Optimierungszwecke in Sindelfingen eingerichtet werden und wie das Projekt zeitlich ablaufen soll. Die EFR fungierte im gesamten Projekt als Generalunternehmer der Stadtwerke Sindelfingen.
Gemeinsam wurde entschieden, zwei verschiedene Empfängertypen (Siemens und LIC) einzusetzen sowie zwei verschiedene Montagefirmen zu beauftragen, um eventuelle Geräte- und Montagefehler rechtzeitig beheben zu können und die Durchführung des Projektes auch bei Lieferverzug einer Firma erfolgreich beenden zu können. Bei der Montage der neuen Empfänger zeigte sich, dass nur bei rd. 2 % der Einbauorte Schwierigkeiten auftraten. Ursache hierfür waren größtenteils Montagefehler und nur vereinzelt herstellerbedingte Empfängerdefekte, welche gemeinsam mit der EFR und ihren Partnern behoben wurden. Bei der Montage der Empfänger zeigte sich außerdem, dass für rd. 10 % eine Außenantenne für einen optimalen Empfang der EFR-Signale montiert werden musste. Dies lag daran, dass die Zählerplätze oftmals in betonummantelten Kellergebäuden waren und/oder Störsender für das EFR-Signal vor-handen waren.
Die Rundsteuerzentrale wurde in Sindelfingen über eine potentialfreie I/O-Ankopplung mit dem "IDS-Higlight-X-Netzleitsystem" verbunden. Hierüber wird eine automatische Lastoptimierung mit Hilfe der Funk-Rundsteuerung realisiert. Gleichfalls können hierüber auch manuell die einzelnen Empfängergruppen angesteuert werden.

Erfahrungen und Perspektiven

Das gesamte Projekt für den Austausch der rd. 3.000 Empfänger in Sindelfingen dauerte ab Planung bis zum vollständigen Einbau aller Empfänger neun Monate. Das Ziel, sämtliche Empfänger vor Beginn der Heizperiode zu tauschen, wurde erreicht. Nachdem die Empfänger getauscht waren, wurde festgestellt, dass die Lastein- und Lastausschaltzeiten exakter wurden und somit die Lastsprünge abends und morgens beim Ein- und Ausschalten der Heizungen etc. wesentlich größer waren als zuvor. Dies führte aber nicht zu Problemen bei der Transformatorregelung oder Lastoptimierung. Eine bewusste Verstimmung der Schaltpunkte war somit nicht erforderlich. Ansonsten treten eher weniger Rundsteuerprobleme auf als zuvor über die herkömmliche Rundsteuertechnik. Dies liegt mit Sicherheit auch daran, dass alle Empfänger neu installiert wurden.
In Zukunft werden über die Funk-Rundsteuerung auch säumige Kunden aus der Ferne gesperrt und entsperrt. Ein weiterer Ausbau über die Grenzen der Stadtwerke Sindelfingen hinaus ist derzeit nicht geplant, wäre mit der neuen Technik allerdings jederzeit problemlos möglich.

Insgesamt hat sich diese Investition für die Stadtwerke Sindelfingen gelohnt. Die Verfügbarkeit der Rundsteuerung ist erheblich besser als vorher, die Lastprofilzähler werden jetzt über den Funk-Rundsteuerempfänger zeitsynchronisiert und eine Lastoptimierung ist aufgrund der automatischen Ansteuerung vom Netzleitsystem aus problemlos möglich. Darüber hinaus war diese Austauschaktion kostengünstiger als der Einsatz einer herkömmlichen Rundsteuertechnik in Sindelfingen. Es hat sich auch bewährt, EFR als Generalunternehmer zu beauftragen um einen kompetenten Ansprechpartner während des gesamten Projektes zu haben.

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